Publikationen
Schiedsentscheid extra petita wegen US-Dollar statt Euro?
Das Bundesgericht weist auf die Bedeutung von Währungen in Rechtsbegehren und Schiedsentscheiden hin. Mangels extra petita Rüge erübrigt sich allerdings ein inhalticher Entscheid im vorliegenden Fall. Zudem klärt das Bundesgericht die Auslegung von ultra petita Rügen in zweistufigen Schiedsverfahren und den Begründungsumfang in internationalen Schiedsentscheiden. Letzteres Thema steht in einem Spannungsverhältnis zu einem ähnlich gelagerten Entscheid aus dem Jahre 2014.
Kommentar von Simon Gabriel zu Urteil 4A_684/2014 vom 2. Juli 2015
I. Sachverhalt
[1] Der Fussballclub A («Club») ist Mitglied des ägyptischen Fussballverbands EFA, der wiederum der FIFA angehört. B ist ein professioneller Fussballspieler mit ghanaischer und britischer Staatsbürgerschaft («Spieler»).
[2] Mittels Arbeitsvertrag verpflichtete der Club den Spieler für drei Spielsaisons. Nach Ansicht des Clubs gab das Verhalten des Spielers in der Folge mehrmals Anlass zu Lohnkürzungen: Der Spieler fehlte beispielsweise beim Training und an einem Meisterschaftsspiel, nahm an Spielen ausserhalb des Clubs teil und wurde aufgrund eines Fehlverhaltens auf dem Platz für drei Spiele gesperrt. Der Spieler kündigte den Arbeitsvertrag in der Folge noch während dessen Laufzeit und forderte angeblich ausstehende Zahlungen inklusive Ersatz für Wohnkosten.
[3] Der Club klagte bei der Kammer zur Beilegung von Streitigkeiten der FIFA (Dispute Resolution Chamber; «Kammer») wegen unrechtmässiger Vertragsauflösung und forderte eine Schadenersatzsumme von rund EUR 3.5 Millionen. Der Spieler erhob Widerklage und verlangte seinerseits ebenfalls rund EUR 3.5 Millionen aufgrund von Zahlungsrückständen sowie Schadenersatz. Die Kammer wies die Klage ab und hiess die Widerklage teilweise gut: Der Club wurde zur Zahlung von EUR 189’767 für Zahlungsrückstände und EUR 1.4 Millionen Schadenersatz zuzüglich Zins verpflichtet (E. A.d). In Bezug auf die Wohnkosten führte die Kammer aus, der Spieler sei für seine Wohnkosten ausreichend entschädigt worden (E. 3.1).
[4] Der Club erhob Berufung beim Tribunal Arbitral du Sport («TAS»), verlangte Aufhebung des Entscheids der Kammer und stellte beim TAS Schiedsgericht unter anderem folgende Begehren: Es sei festzustellen, dass der Vertrag durch den Spieler ohne genügenden Grund gekündigt worden sei und dass dem Spieler daher keine Zahlungen zustünden. Weiter sei der Spieler zu verpflichten, dem Club rund EUR 3.5 Millionen, eventualiter einen herabgesetzten Betrag zu bezahlen (für die vollständigen Rechtsbegehren vgl. E. B). Alle geforderten Zahlungen waren in Euro beziffert (mit Ausnahme der Parteikosten, welche in CHF eingefordert wurden). Der Spieler beantragte in der Berufungsantwort die Abweisung der Berufung und die Bestätigung des angefochtenen Entscheids (E. B).
[5] Mit Schiedsentscheid vom 31. Oktober 2014 hiess das Schiedsgericht die Berufung teilweise gut. Es stellte fest, dass der Vertrag aus wichtigem Grund aufgelöst wurde und verurteilte den Club zur reduzierten Zahlung von EUR 152’799 und USD 30’000 für Zahlungsrückstände sowie von EUR 654’736 und USD 66’000 Schadenersatz aus Vertragsverletzung. Ein Teilbetrag wurde als Ersatz für Wohnkosten zugesprochen.
[6] Mit Beschwerde an das Bundesgericht beantragte der Club, den Schiedsspruch aufzuheben. Er führte an, dass das Schiedsgericht über einen ihm nicht unterbreiteten Streitpunkt entschieden (Entscheid ultra petita) und den Grundsatz des rechtlichen Gehörs verletzt habe.
II. Entscheid
[7] Das Bundesgericht befasste sich zuerst mit der Rüge betreffend Entscheidung ultra petita (E. 3) und danach mit der gerügten Verletzung des rechtlichen Gehörs (E. 4).
[8] Der Club argumentiere, dass das Schiedsgericht über den Streitpunkt «Wohnkostenersatz» nicht gegen den Club habe entscheiden dürfen. Die Kammer habe diese Position als hinreichend entschädigt befunden und der Spieler habe diesbezüglich gerade keine Berufung eingelegt. Die Rechtsbegehren des Spielers im Schiedsverfahren hätten vielmehr lediglich auf Abweisung der Berufung und auf Bestätigung des angefochtenen Entscheids gelautet. Damit habe der Spieler akzeptiert, für die Wohnkosten hinreichend entschädigt worden zu sein. Indem das Schiedsgericht dem Spieler USD 30’000 als Wohnkostenersatz zusprach, habe es einen Streitpunkt behandelt, der von der Vorinstanz bereits abschliessend rechtskräftig beurteilt worden sei (E. 3.1).
[9] Das Bundesgericht verwies auf seine bisherige Rechtsprechung, wonach ein Schiedsentscheid angefochten werden kann, wenn das Schiedsgericht über Streitpunkte entschieden hat, die ihm nicht unterbreitet wurden oder wenn es Rechtsbegehren unbeurteilt gelassen hat. Allerdings, so das Bundesgericht, liege keine Entscheidung ultra petita vor, wenn der Anspruch in rechtlicher Hinsicht ganz oder teilweise abweichend von den Begründungen der Parteien gewürdigt werde, sofern er vom Rechtsbegehren gedeckt sei (E. 3.2.1).
[10] Da das Schiedsgericht die Zahlungspflicht des Clubs insgesamt reduzierte, bewegte es sich gemäss Bundesgericht innerhalb der Rechtsbegehren. Eine von der antragstellenden Partei abweichende Gewichtung von Elementen des Gesamtbetreffnisses reicht für eine Entscheidung ultra petita nicht aus. Der Spieler wäre gemäss Bundesgericht nicht einmal zur Berufung vor dem Schiedsgericht legitimiert gewesen, da er sich mit dem Entscheid der Kammer gesamthaft zufrieden zeigte (i.e. keine Beschwer; E. 3.2.2).
[11] Schliesslich erwähnte das Bundesgericht, der Club habe nicht geltend gemacht, dass das Schiedsgericht dem Spieler einen Teilbetrag in einer anderen Währung als in den beantragten Euro zugesprochen habe (E. 3.2.2).
[12] In der Konsequenz erachtete das Bundesgericht die Rüge einer Entscheidung ultra petita nach Art. 190 Abs. 2 lit. c IPRG als unbegründet.
[13] Weiter argumentierte der Club, das Schiedsgericht habe den Grundsatz des rechtlichen Gehörs mehrfach verletzt:
- Es habe nicht überprüft, ob ein Lohncheck vom Spieler einkassiert worden war. Dies hätte die Zahlungsverpflichtung des Clubs vermindert.
- Es habe sich nicht damit auseinandergesetzt, ob der Spieler unerlaubten Medienkontakt hatte. Damit wäre aber eine dem Spieler auferlegte Disziplinarbusse gerechtfertigt gewesen, was die Zahlungsverpflichtung des Clubs vermindert hätte.
- Weiter ergebe sich aus dem Entscheid nicht, weshalb der Lohnabzug aufgrund einer Spielsperre nur EUR 52’202 (anstatt EUR 55’202) betragen solle.
- Das Schiedsgericht habe nicht hinreichend begründet, weshalb als Busse für die Abwesenheiten des Spielers nur eine Zahlung von rund EUR 1’300 angemessen sei.
- Es habe sich auch nicht damit auseinandergesetzt, ob die vertraglichen Bedingungen der vierteljährlichen Lohnzahlungen effektiv erfüllt waren, sondern habe sich mit der blossen Erwähnung derselben begnügt.
- Das Schiedsgericht habe ebenfalls offengelassen, ob der Beschwerdegegner einen Lohncheck vorzeitig einzulösen versuchte.
[14] Das Bundesgericht bestätigte seine ständige Rechtsprechung zum Umfang des rechtlichen Gehörs. Es leitete aus dieser Rechtsprechung insbesondere das Recht der Parteien ab, sich über alle für das Urteil wesentlichen Tatsachen zu äussern, ihren Rechtsstandpunkt zu vertreten, ihre entscheidwesentlichen Sachvorbringen mit tauglichen sowie rechtzeitig und formrichtig offerierten Mitteln zu beweisen, sich an den Verhandlungen zu beteiligen und in die Akten Einsicht zu nehmen. Das Bundesgericht bestätigte ebenfalls, dass das rechtliche Gehör keinen Anspruch auf Begründung eines internationalen Schiedsentscheids umfasst. Die Schiedsrichter trifft lediglich die minimale Pflicht, die entscheidrelevanten Fragen zu prüfen und zu behandeln (E. 4.2). Der Anspruch auf rechtliches Gehör enthält auch keinen Anspruch auf einen materiell richtigen Entscheid, sondern beschränkt sich auf die Frage, ob Vereinbarkeit mit dem Ordre public besteht (E. 4.3 mit Hinweis auf BGE 127 III 576 E. 2b und BGE 121 III 331 E. 3.a).
[15] Das Bundesgericht prüfte die sieben gerügten Positionen einzeln und kam zum Schluss, dass dem Club in keinem einzigen Fall die Möglichkeit verbaut worden sei, am Prozess teilzunehmen, ihn zu beeinflussen und seinen Standpunkt einzubringen.
[16] Erwähnenswert sind dabei die Positionen eines übergebenen Checks über EUR 20’000 und einer Busse wegen unerlaubten Medienkontakts. Der Entscheid des Schiedsgerichts erwähnte diese Positionen offenbar im Sinne von Vorbringen des Clubs (vermutungsweise bei der Zusammenfassung der Parteivorträge). Allerdings tauchten sie in der materiellen Begründung und der Schadensberechnung des Schiedsentscheids nicht mehr auf (E. 4.3). Auch in diesen Fällen hat das Bundesgericht aus dem erwähnten Grund keine Verletzung des rechtlichen Gehörs erblickt.
[17] Das Bundesgericht befand somit, dass das rechtliche Gehör des Clubs gemäss Art. 190 Abs. 2 lit. d IPRG nicht verletzt wurde.
III. Kommentar
A. Entscheid ultra petita in zweistufigen Verfahren
[18] Die klare Position des Bundesgerichts zur ultra petita Rüge bei Geldforderungen ist im Sinne der Rechtssicherheit zu begrüssen: Solange sich das Entscheiddispositiv betragsmässig innerhalb der Rechtsbegehren bewegt, liegt kein Entscheid ultra petita vor.
[19] Diese Erkenntnis gilt nach dem vorliegenden Entscheid auch in zweistufigen Verfahren: Das Schiedsgericht als Berufungsinstanz darf einzelne Positionen entgegen der Vorinstanz zu Ungunsten einer Berufungsklägerin würdigen, solange das Resultat betragsmässig innerhalb der Rechtsbegehren liegt.
B. Entscheid extra petita aufgrund Währungsunterschied?
[20] In internationalen Schiedsverfahren ist es nicht unüblich, dass, wie vorliegend, drei oder sogar mehr unterschiedliche Währungen im Urteilsdispositiv Verwendung finden.
[21] Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang der ausdrückliche Hinweis des Bundesgerichts, dass die Währungsdifferenz zwischen Parteianträgen und Schiedsentscheid nicht gerügt worden sei und daher nicht geprüft werden musste. Tatsächlich haben die Parteien im Verfahren zur Sache ausschliesslich Anträge in Euro gestellt. Das Schiedsgericht hat dem Spieler allerdings auch Beträge in US-Dollar zugesprochen. Es stellt sich die Frage, wie entschieden worden wäre, wenn der Club den Zuspruch eines Betrags in US-Dollar gemäss Art. 190 Abs. 2 lit. c IPRG gerügt hätte. Lag allenfalls ein Entscheid extra petita vor?
[22] Materielles Recht und Verfahrensrecht sind bei dieser Fragestellung gedanklich zu trennen: (i) Die Frage, ob ein Entscheid extra petita vorliegt, erfolgt ausschliesslich nach Verfahrensrecht (also nach Schweizer lex arbitri). (ii) Das Schweizer materielle Recht ist allerdings für das generelle Verständnis, was unterschiedliche Währungen in der Schweiz rechtlich bedeuten, relevant und bildet damit den Ausgangspunkt der kurzen Analyse:
[23] Materiellrechtliche Ausgangslage: In einem neueren amtlich publizierten Entscheid hat das Bundesgericht festgehalten: «Der Gläubiger ist zwar gehalten, eine Zahlung in Schweizer Franken anzunehmen; die Berechtigung zur Erfüllung in der Landeswährung (Art. 84 Abs. 2 OR) gilt jedoch nur für den Schuldner, nicht für den Gläubiger. Seine Forderung geht ausschliesslich auf Zahlung in Fremdwährung und er kann gemäss Art. 84 Abs. 1 OR nur die Leistung in der vereinbarten Auslandwährung fordern» (BGE 134 III 151, E. 2.2).
[24] Das bedeutet materiellrechtlich betrachtet, dass die Forderung, die ein Gläubiger in der falschen Währung geltend macht, rechtlich nicht geschützt wird. US-Dollar und Euro sind nach dieser rechtlichen Sichtweise nicht einfach einheitlich wie «Geld», sondern vielmehr wie «Äpfel und Birnen» zu behandeln.
[25] Wird dieses materiellrechtliche Verständnis von Währungen auf das Verfahrensrecht übertragen, folgt: Wenn ein Kläger Euro fordert und US-Dollar erhält, wurde ihm etwas anderes zugesprochen, als er gefordert hat. Damit würde ein anfechtbarer Entscheid extra petita vorliegen.
[26] Mangels Kenntnis der genauen Umstände des vorliegenden Falls kann nicht abschliessend beurteilt werden, ob die extra petita Rüge erfolgreich gewesen wäre.
[27] Unabhängig davon empfiehlt sich für alle Parteivertreter, die Verfahren nach Schweizer Recht führen, auf Fragen der Währung materiell- und verfahrensrechtlich ein besonderes Augenmerk zu legen. Die falsche Währung im Rechtsbegehren kann (und muss) nach Schweizer Recht zur Abweisung einer ansonsten berechtigten Forderung führen, gleich wie wenn eben Äpfel statt Birnen eingeklagt worden wären.
[28] Falls das Schiedsgericht andere als die beantragten Währungen zuspricht, besteht zudem ein Risiko, dass der Schiedsentscheid anfechtbar ist.
C. Keine Begründung internationaler Schiedsentscheide
[29] Der Entscheid des Bundesgerichts zur Rüge der Gehörsverletzung ergeht grundsätzlich in Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung und ist daher nicht überraschend.
[30] Es stellt sich gleichzeitig die Frage, wie die Einhaltung der minimalen Pflicht des Schiedsgerichts, die entscheidrelevanten Fragen zu prüfen und zu behandeln sichtbar gemacht werden kann. Vorliegend hat das Schiedsgericht offenbar gewisse entscheidrelevante Positionen in den Zusammenfassungen der Parteivorbringen erwähnt, aber in der Folge nicht weiter behandelt.
[31] Das Bundesgericht scheint im vorliegenden Fall zu erkennen, dass aus der Erwähnung einer Position im Entscheid auch auf Behandlung derselben geschlossen werden darf. Dies unabhängig davon, ob die Position auch bei der materiellen Begründung des Entscheids (und in der Schadensberechnung) explizit auftaucht.
[32] Es könnte natürlich auch mit Fug in die gegenteilige Richtung argumentiert werden: Wenn eine entscheidrelevante Position bei den Parteivorbringen erwähnt wird, aber in der materiellen Begründung selbst nicht mehr, ist diese Diskrepanz der beste Beleg dafür, dass diese Position gerade nicht inhaltlich behandelt wurde.
[33] Das Bundesgericht hat auch diese Argumentationslinie in einem relativ aktuellen Entscheid bereits verwendet: «Obwohl die Frage des Haftungsausschlusses nach Ziffer 22.1 des Vertrags vom 10. März 2006 für die Beurteilung der eingeklagten Ersatzansprüche offensichtlich rechtserheblich war, erwähnt ihn das Schiedsgericht im angefochtenen Endschiedsspruch lediglich bei der Zusammenfassung der von den Parteien vertretenen Standpunkte, verzichtet in seinen rechtlichen Erwägungen jedoch gänzlich auf eine Auseinandersetzung mit diesem Argument der Beschwerdeführerin» (Urteil des Bundesgerichts 4A_460/2013 vom 4. Februar 2014, E. 3.2.2). In diesem Entscheid vom Februar 2014 scheint das Bundesgericht von den Schiedsrichtern nicht nur eine Erwähnung von relevanten Positionen, sondern auch eine «Auseinandersetzung mit den Argumenten» in der materiellen Begründung zu verlangen.
[34] Das Bundesgericht würdigt somit die fehlende Erwähnung von relevanten Positionen im materiellen Teil des Schiedsentscheids je nach Einzelfall unterschiedlich. Daraus muss für die Praxis abgeleitet werden, dass die vollständige Behandlung aller entscheidrelevanten Positionen der Parteien im materiellen Teil des Schiedsentscheids die Regel sein soll: Die Entscheidakzeptanz bei den Parteien wird so erhöht und das Aufhebungsrisiko minimiert.
Zitiervorschlag:
Simon Gabriel, Schiedsentscheid extra petita wegen US-Dollar statt Euro?, in: dRSK, publiziert am 21. Oktober 2015