Publikationen
Hohe Anforderungen an mündliche Verfahrensrügen in Schiedsverhandlungen
Axel Buhr;
in: dRSK, 19.03.2013
Kommentar zu Bundesgerichtsurteil 4A_407/2012 vom 20. Februar 2013
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichts verwirken Rügen schiedsgerichtlicher Verfahrensmängel, wenn diese nicht unverzüglich im Schiedsverfahren vorgebracht werden. An mündlich erhobene Verfahrensrügen stellt das Bundesgericht hohe Anforderungen: Es kommt zum Schluss, blosse Einwände («objections») bzw. kritische Bemerkungen («remarks») betreffend die Verfahrensführung begründeten keine hinreichend deutliche Rüge. Übermässige Zurückhaltung ist für das Bundesgericht damit fehl am Platz.
Sachverhalt
[1] Gegenstand des Urteils bildet die Beschwerde zweier österreichischer Gesellschaften gegen den Entscheid eines Schiedsgerichts mit Sitz in Zürich vom 29. Mai 2012. Der Schiedsspruch beendete ein ICC- Schiedsverfahren, welches die Beschwerdegegnerin, eine niederländische Gesellschaft, am 19. Oktober 2009 gegen die Beschwerdeführerinnen eingeleitet hatte. Die Parteien stritten um die Wirksamkeit gegenseitiger Kündigungen eines österreichischem Recht unterliegenden Kaufvertrags vom 30. Juli 2008, welcher den Erwerb sämtlicher Aktien einer österreichischen Tochtergesellschaft der Beschwerdegegnerin durch die Beschwerdeführerinnen zum Gegenstand hatte. Die Beschwerdegegnerin machte Ansprüche in Höhe von über EUR 140 Mio. geltend; die Beschwerdeführerinnen forderten ihrerseits Ersatz frustrierter Aufwendungen in Höhe von EUR 800’000.
[2] In seinem Schiedsspruch stellte das Schiedsgericht fest, dass die Kündigungen der Beschwerdeführerinnen unwirksam, diejenige der Beschwerdegegnerin dagegen wirksam war. Es verurteilte die Beschwerdeführerinnen zur Zahlung von EUR 30 Mio. und wies die Widerklage der Beschwerdeführerinnen ab. In ihrer Beschwerde rügten die Beschwerdeführerinnen gestützt auf Art. 190 Abs. 2 lit. d IPRG mehrere Verletzungen ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör und Gleichbehandlung. Insbesondere habe das Schiedsgericht einen Zeugen der Beschwerdeführerinnen nicht gehört. Darüber hinaus habe das Schiedsgericht der Beschwerdegegnerin bei der Schiedsverhandlung wesentlich mehr Zeit für die Befragung der Zeugen eingeräumt als den Beschwerdeführerinnen. Mit seinem Urteil vom 20. Februar 2013 hat das Bundesgericht die Beschwerde abgewiesen.
Entscheid
[3] Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichts verwirken Verfahrensrügen, wenn die rügende Partei diese nicht rechtzeitig im Schiedsverfahren vorbringt und nicht alle zumutbaren Anstrengungen unternimmt, um den Mangel zu beseitigen. Die bundesgerichtliche Überprüfung des Schiedsspruches auf Verfahrensverstösse sei – so das Bundesgericht – «insoweit subsidiär, als die Parteien entsprechende Mängel zunächst beim Schiedsgericht so zu rügen haben, dass diese noch im laufenden Schiedsverfahren behoben werden können» (E. 3.1). Es widerspreche «Treu und Glauben, einen Verfahrensmangel erst im Rahmen eines Rechtsmittelverfahrens zu rügen, obgleich im Schiedsverfahren die Möglichkeit bestanden hätte, dem Schiedsgericht die Gelegenheit zur Behebung dieses Mangels zu geben».
[4] Die Beschwerdeführerinnen machten unter Verweis auf das Protokoll der Schiedsverhandlung geltend, sie hätten die Verfahrensverstösse des Schiedsgerichts rechtzeitig gerügt. Mit Bezugnahme auf die Einvernahme des Zeugen verwiesen die Beschwerdeführerinnen auf eine Frage ihres Rechtsvertreters, welche in den Erwägungen des Bundesgerichts wie folgt wiedergegeben ist (E. 3.2.2):
«Is it the view of the Tribunal that the Tribunal should make any more efforts to hear the Official Parties?»
[5] Das Bundesgericht kommt zum Schluss, die zitierte Protokollstelle belege keine Rüge, sondern lediglich eine «zurückhaltend und vorsichtig formulierte Frage» (E. 3.2.2). Die Beschwerdeführerinnen – so die bundesgerichtlichen Erwägungen – räumten selbst ein, dass die angebliche Rüge in einer «moderaten Form» vorgebracht worden sei. Die – wörtlich durch das Bundesgericht zitierte – Begründung der Beschwerdeführerinnen, «dass die Parteien eines Schiedsverfahrens eine natürliche Hemmung vor Rügen» hätten, lässt das Bundesgericht nicht gelten. Der Hinweis der Beschwerdeführerinnen, Parteien eines Schiedsverfahrens seien regelmässig interessiert, «dass ihnen das Schiedsgericht wohlgesonnen ist», und dementsprechend bestrebt, das Schiedsgericht «nicht durch dauernde und scharfe Rügen zu verärgern», überzeugt das Bundesgericht ebenfalls nicht: «Wenn auch solche Beweggründe nachvollziehbar sind, vermögen sie nichts daran zu ändern, dass in der blossen Frage, ob das Gericht der Auffassung sei, dass noch mehr Anstrengungen zur Einvernahme der Zeugen gemacht werden sollten, keine Rüge eines Verfahrensmangels ausgemacht werden kann. Aus der unverbindlichen Fragestellung musste die Vorinstanz nicht schliessen, dass die Beschwerdeführerinnen in der Nichteinvernahme […] einen eigentlichen Verstoss gegen ein Verfahrensgrundrecht sehen.»
[6] Zu einem ähnlichen Ergebnis gelangt das Bundesgericht mit Bezug zu denjenigen Protokollstellen, welche die Beschwerdeführerinnen als Beleg für eine Rüge der Verletzung ihres Anspruchs auf Gleichbehandlung im Zusammenhang mit der gewährten Zeit für die Zeugenbefragung anführten. In der Schiedsverhandlung erhob der Rechtsvertreter der Beschwerdeführerinnen folgende Einwände (E. 3.4):
«[Rechtsvertreter der Beschwerdeführerinnen]: A short statement as to time and as to language. Just for the record, in our figures I estimate that as the total time spent all together the Claimant has spent 18 hours and 50 minutes, the Respondent only 13 hours and 3 minutes, more than five hours less. (…) May I refer you to order number 9 paragraph 7. ‹The parties will have equal time during the evidential hearing to use› and it goes on, which confirms this point. Mr Chairman, reluctantly, and by no means personally, I have to raise in that respect objections. The Respondent’s right to be heard and to be treated equally is really at stake here. We had to reduce our questions in chief, in cross and in re.»
«[Rechtsvertreter der Beschwerdeführerinnen]: Having heard Claimant has used more than 23 hours and we only 14 hours I think that my initial remarks as to the imbalance of time are still maintained.»
«[Rechtsvertreter der Beschwerdeführerinnen]: (…) I must say, I have not checked it, that we were stopped asking questions on several occasions even if it now turns out that the Claimant are upfront more than nine hours. That is a point where I really feel that we were at a disadvantage.»
[7] Das Bundesgericht kommt zum Schluss, der Rechtsvertreter der Beschwerdeführerinnen habe zwar «angetönt, dass seiner Ansicht nach die Gleichbehandlung ‹auf dem Spiel› stünde und er das Gefühl habe, ‹im Nachteil› zu sein» (E. 3.4). Dabei handle es sich auch «durchaus um Einwände (‹objections›) bzw. (kritische) Bemerkungen (‹remarks›) betreffend die Verfahrensführung». Eine «hinreichend deutliche Rüge, das Verfahren leide an einem Verfahrensmangel im Sinne von Art. 190 Abs. 2 lit. d IPRG, könne darin jedoch kaum gesehen werden».
[8] Unter Hinweis auf ihre Verwirkung ist das Bundesgericht auf beide Rügen nicht eingetreten.
Kommentar
[9] Zutreffend erscheint die Feststellung des Bundesgerichts, ein Schiedsgericht müsse in einer Frage keine Rüge eines Verfahrensmangels ausmachen. Übermässige Zurückhaltung ist für das Bundesgericht zu Recht fehl am Platz: Wer seine Verfahrensrechte verletzt sieht, muss dies deutlich sagen. «Scharfe» Rügen lassen sich somit nicht vermeiden, auch wenn mit jeder Rüge das Risiko, die eigene Partei gegenüber dem Schiedsgericht zu exponieren, steigt.
[10] Übermässig streng ist jedoch die Schlussfolgerung des Bundesgerichts, in den – in den Erwägungen und vorstehend wiedergegebenen – Forderungen nach Gleichbehandlung könne eine «hinreichend deutliche Rüge, das Verfahren leide an einem Verfahrensmangel im Sinne von Art. 190 Abs. 2 lit. d IPRG, kaum gesehen werden» (E. 3.4).
[11] Zwar ergibt sich aus den Urteilserwägungen nicht, in welchem Kontext und zu welchem Zeitpunkt die entsprechenden Einwände erhoben wurden. So ist unklar, ob der Rechtsvertreter beispielsweise am Ende der Schiedsverhandlung noch einmal auf den Verfahrensmangel hingewiesen hat. Die Wortwahl (insbesondere: «Mr Chairman, reluctantly, and by no means personally, I have to raise in that respect objections. The Respondent’s right to be heard and to be treated equally is really at stake here.») lässt durch den Verweis auf die bedrohten Verfahrensrechte an Deutlichkeit jedoch nichts zu wünschen übrig.
[12] An diesem Ergebnis ändert auch der bundesgerichtliche Vorwurf nichts, die Beschwerdeführerinnen hätten im Nachgang bis zur Ausfällung des Schiedsspruchs nicht alle zumutbaren Anstrengungen unternommen, um dem Schiedsgericht die Gelegenheit zu geben, die angebliche Ungleichbehandlung zu beseitigen. Dies gilt insbesondere auch für die Feststellung des Bundesgerichts, die Beschwerdeführerinnen hätten während oder nach der Schiedsverhandlung keine Prozessanträge auf Ergänzung oder Wiederholung der Zeugeneinvernahme gestellt.
[13] Damit wirft das Urteil die Frage auf, welche Wortwahl den hohen Anforderungen des Bundesgerichts standhielte. Legt man den strengen Massstab des Bundesgerichts zugrunde, wäre wohl lediglich ein Prozessantrag, verbunden mit einer ausdrücklichen Warnung, «das Verfahren leide an einem Verfahrensmangel im Sinne von Art. 190 Abs. 2 lit. d IPRG» (E. 3.4), hinreichend deutlich.
[14] Insbesondere im Hinblick auf internationale Schiedsverfahren, in denen häufig ausländische Parteien beteiligt sind und kein Zwang zur Vertretung durch in der Schweiz zugelassene Anwälte besteht, erscheinen solche Anforderungen jedoch überzogen. Mit dem Gebot von Treu und Glauben und dem ursprünglichen Ziel, Missbräuche zu verhindern, lässt sich der strenge Massstab des Bundesgerichts jedenfalls nicht rechtfertigen.
Zitiervorschlag:
Axel Buhr, Hohe Anforderungen an mündliche Verfahrensrügen in Schiedsverhandlungen, in: dRSK, publiziert am 19. März 2013